Die Karawane zieht weiter!

لقافلة تسير و الكلاب تنبح

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Ich hatte euch
die Geschichte von Zaid und mir
erzählt und  meine Fragen geschildert, mit denen ich zurück bleibe.

 

Neben den Kommentaren hier auf dem Blog, habe ich in diversen Facebookgruppen unterschiedlichste Antworten erhalten. Was ich hierbei total spannend finde:

Die europäischen, von Frauen verfassten Überlegungen zielten alle darauf ab, sich in Zaids Situation hineinzuversetzen und sein Verhalten – ohne eines Unterstellens schlecher Absichten – zwar nicht entschuldbar, aber doch nachvollziehbar zu machen. Die Statements der Männer hingegen, überwiegend Marokkaner, verwiesen kurz und präzise auf eigennützige Motive und eines durchaus absichtlichen und bewussten Handelns.

Die „Wahrheit“ werde ich vermutlich niemals zu erfahren. Meine Überlegungen waren ebenso wie die der anderen Frauen wohlwollend – daher auch die Frage nach Kultur, die dies vielleicht „entschudigen“ könnte -, mittlerweile bin ich jedoch bei dem männertypischen und harten Fazit angekommen.

Ich will dieses Kapitel nun mit der für mich einleuchtendsten Erklärung und einem arabischen Sprichwort beschließen:

 

Al 9afilate tasir wa lkilabo tanbah.

Die Karawane zieht weiter, die Hunde bellen…

 

Muhas und mein Weg geht weiter, und zwar gemeinsam als Freunde. Wir haben diese Geschichte überlebt und das Zusammenhalten danach hat unsere Freundschaft tatsächlich stark gemacht.

 

Einen letzten „Beller“ gab es übrigens noch: Zaid hat sich nach Erscheinen des letzten Artikels bei mir gemeldet.
Er hat Angst, dass Bekannte die Geschichte mit ihm in Verbindung bringen und will mir unterbinden, weiter hiervon zu schreiben.
Lieber Zaid, Mustapha, Tarek oder sonst wer (such dir einen Namen aus): Es gibt nichts mehr zu sagen! Alles ist gesagt.
Und ich frage dich: Wie könnten andere diese Geschichte dir zuordnen, ist doch dein Name hier erfunden und gewisse Umstände verändert? Nur die unmittelbar Beteiligten wissen davon – Muha, du und ich -, ach ja: und natürlich diejenigen, denen man außerdem davon erzählt hat.
Ich habe nach diesem Erlebnis meine Lehre erhalten und niemandem mehr etwas erzählt. Zaid ist und war der erste und letzte, dem ich mich anvertraut hatte. Und wenn du, Zaid, nichts erzählt hast – wie du immerzu betonst – brauchst du ja keine Befürchtungen zu haben.

Zaid

Es ist mitten in der Nacht. Ich stehe in Marrakech am Flughafen und halte nach Zaid Ausschau.

„Kamelchen, du bist da! Merhaba!“

Zaid begrüßt mich.
Es ist ein schönes Gefühl.

 

Endlich wieder in Marokko, bei einem Freund, mit dem man über Monate geschrieben und telefoniert hatte. Ich bin wirklich da!

 

Wir fahren mit dem Taxi zu seiner Wohnung in einen Vorort Marrakechs, wo er gemeinsam mit einem Mitbewohner lebt und beschließen diesen ersten Abend zu Hause zu bleiben, gemeinsam zu essen und dann erst mal auszuschlafen.

 

 

 

„Zaid“, sage ich, „ich muss dir etwas erzählen. Du bist der Einzige, den ich fragen kann.
Du bist Marokkaner und ich brauche deinen Rat. Was ich dir erzähle, muss aber unter uns bleibt.“

 

Und so erzähle ich ihm von Muha…

Dieser war vor vierzehn Monaten zum Studieren von Marokko nach Deutschland gekommen und wir hatten nach einem anfänglich unverbindlichem Schreiben begonnen, uns zu treffen und eine Freundschaft aufzubauen. Muha hatte mir im Vertrauen von seiner Situation erzählt und ich war traurig und verzweifelt zugleich, angesichts Muhas Lage. Bis dahin hatte ich wenig über die Probleme Marokkos nachgedacht oder besser: Ich war nicht persönlich mit einzelnen Schicksalen konfrontiert worden. Ich hatte Muha vesprechen müssen, seinen Freunden, die ich bei diesem Besuch in Marokko voraussichtlich treffen würde, nichts zu erzählen. Ich war die Einzige, der er sich anvertraut hatte. Ich wiederum fühlte mich ohnmächtig, mit niemanden darüber reden zu können. Wem hätte ich dies aber auch erzählen können? Die Reaktionen deutscher Bekannen und Freunde oder deren Ratschläge waren nicht das, was ich brauchte, konnte ich diese ja vorhersagen… Es ging weniger um rationale Erklärungen, als um ein Verständnis marokkanischer Situationen und Denkweisen. Und ich schaffte es einfach nicht, mit dieser Verzweiflung alleine zu sein.

Ich vertraute mich meinem marokkanischen Freund Zaid an. Zaid hörte zu, sagte immer wieder: „Eieiei. Das ist nicht gut.“ und schüttelte den Kopf.
Bereits als ich begonnen hatte zu erzählen, hatte ich ein ungutes Gefühl. Ich wusste:

Es ist ein Fehler! Was du machst ist nicht gut!

Gleichzeitg sagte meine innere Sozialpädagogenstimme:
„Es ist okay. Was Muha von dir verlangt, ist nicht in Ordnung! Du musst das auch jemanden erzählen dürfen. Du musst das nicht mit dir herum tragen.“

Und: „Du sagt es ja nicht jemandem weiter, sondern vertraust dich einem Freund an. Er hat zu Muha keinerlei Bezugspunkte. Sie kennen sich nicht.“

Tja. Es stellte sich heraus, dass Zaid Muha kannte.

 

Über 35 Millionen Marokkaner.

Ich kenne eine Handvoll davon
und dann stellt es sich heraus, dass diese aus demselben Dorf kommen?!

  Was ist das? Ein dummer Zufall? Schicksal? Pech?

 

Es stellte sich weiterhin heraus, dass Zaid die Informationen über Muha sofort und direkt an dessen Familie weitergab.
Diese wiederum riefen umgehend bei Muha in Deutschland an und eine Lawine von Ereigenissen wurde in Gang gesetzt, die – hätte ich mich Zaid nicht anvertraut – vielleicht und hoffentlich verhindert hätte werden können.

 

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Ich hatte derweil – nichts ahnend – relativ entspannte Tage, in denen ich mit Zaid durch die Straßen und Cafés Marrakechs zog.


Mit Muha schrieb ich in dieser Zeit wie gewohnt täglich und war nur an Silvester irritiert, als er meine Neujahrswünsche erst sehr spät und nüchtern erwiderte.
„Ich wollte dir deinen Urlaub nicht verderben“, sagte er später zu mir.

Zurück in Deutschland, schrieb Muha nur einen Satz:

„Ich weiß, was du getan hast.“

Über Muhas weitere Geschichte und meine möchte ich nichts weiter erzählen. Dies ist eine eigene und gehört hier nicht her. Sie hört sich auch eher wie ein schlechter Groschenroman an.
Und es macht mich unsagbar traurig, was ich (und Zaid) mit meinem Vetrauensbruch ausgelöst habe.

 

Es gibt Fehler, die man nicht mehr gut und Konsequenzen, die man nicht rückgängig machen kann.

 

Zaid behaupt bis heute – zwischenzeitlich haben wir noch distanzierten Kontakt – nichts gesagt zu haben. Ich weiß nicht, was schlimmer ist: Der Verrat – denn er wusste ganz klar, welche Konsequenzen sein Verhalten für Muha und auch für mich haben würde – oder das Nichteingestehen.
„Ja, ich habe es weitergesagt, es tut mir leid.“
Es hätte an den Folgen für die betroffenen Personen nichts geändert, aber wäre ein Zeichen von Fairness und Freundschaft oder des Respekts gewesen.

 

Ich habe mich lange gefragt:
Warum hat Zaid das getan?

Wie soll ich Zaids Verhalten interpretieren?

War er schlicht ein Schwätzer oder ein ausschließlich auf den eigenen Vorteil bedachter Mensch?
Oder ist es eines dieser kulturellen Rätsel, die ich einfach nicht verstehe: War er doch „Freund“ und wird mit Vertraulichkeiten in Marokko einfach anders umgegangen?

Ich habe oft von meinen marokkanischen Bekannten Dinge erzählt bekommen mit dem Beisatz „Sag es niemandem!“ Hierbei ging es jedoch nie um wirklich gravierende Inhalte und Abdel erklärte mir, dass es tief verankert in der marokkanischen Kultur sei, nach dem Motto „Streue bewusst Informationen in dem Wissen, dass es sich so auf jeden Fall verbreiten wird“.
Auch habe ich schon öfter zu hören bekommen, dass der Neid sehr präsent ist und dieser Beziehungen vergiftet. Der Neid auf Liebe, der Neid auf ein vermeintlich gutes Leben, der Neid auf eigentlich alles, was man selbst entbehrt.

 

Ich habe diese Geschichte einem westafrikanischem Bekannten erzählt. Seine Antwort war kurz und bündig:
„Steff, das ist nicht Kultur. Er ist schlicht und einfach ein …*!“

*Ich verzichte an dieser Stelle auf den genauen Wortlaut…

 

Und jetzt frage ich euch – besonders euch Marokkanerinnen und Marokkaner: Was sollte das?
Habe ich irgendwas an der marokkanischen Kultur so gar nicht verstanden?
Oder war Zaid tatsächlich und schlichtweg einfach kein guter Freund?