Über Entscheidungen

oder: Die Gelegenheit ergreifen

 

 

 

 

 

 

Das Leben hatte mich gelehrt,
dass die wichtigen Momente, die man erlebt,
die Folge einfacher Entscheidungen sind,
für die man nur den Mut aufbringen muss,
die Angst vor dem Unbekannten zu überwinden.

Erst dann entdeckt man Welten,

die so fein scheinen und einem doch zu Herzen gehen,
wenn man bereit ist, die Gelegenheit zu ergreifen.


Sergio Bambaren in „Das Leuchten der Wüste“

 

 

Es ist Zeit weiter zu ziehen. Das spüre ich seit einigen Tagen.

Kurzentschlossen habe ich heute morgen beim Gespräch im Café entschieden, morgen zusammen mit Budrar ins Valée du Paradis fahren, eine exotische Schlucht, gesäumt von Palmen, Arganien und Oleander, die ihren Namen in den 70er Jahren von den Hippies erhielt. 

Budrar wird sein Restaurant schließen und sich mit mir auf den Weg machen.
Ein Freund von ihm lebt in diesem Tal.

Unterwegs werden wir bei Lisa anhalten, die in einem anderen Dorf an der Küste ihren zeitweiligen Aufenthalt zum Schreiben gefunden hatte, ihr Gepäck mitnehmen und sie dann einen Tag später im Valée du Paradis treffen. Lisa habe ich vor einem Monat im Kinderdorf Dar Bouidar kennen gelernt.

Vielleicht ist dies eine Gelegenheit einer schönen Begegnung, eines inspirierenden Treffens zu dritt?
Alle drei sind wir in unseren Welten der Sprache und Schrift, der Farben, Töne und Gerüche zu Hause und nicht bereit, uns gesellschaftlichen, wie die radikalen Konstruktivisten sagen würden: nicht viablen Strukturen unterzuordnen.

Ein bisschen habe ich Angst vor meiner Entscheidung und mir selbst.
Ich brauche meine Ruhe, meinen Rückzugsort.
Ich will und kann nicht längerfristig planen, will mich nicht verpflichten, weiß ich doch gar nicht, ob es mir im Tal gefällt, ob es „passt“.
I
ch weiß auch wenig bis nichts von Budrar und Lisa, außer, dass ich mich gerne mit ihnen unterhalte und ich den Austausch mit interessanten, nicht konformen Menschen brauche.

Aber um zu leben, mich frei zu fühlen und meinen Ideen zu folgen, gerade deshalb bin ich doch in Marokko… Und so bin ich heute morgen kurzentschlossen erneut über eine meiner Grenzen „gehüpft“. Wieder raus aus der kleinen Komfortzone und sehen, was passiert!

 

 

 

 

Die eigene Kultur neu erleben!

 

Kennt ihr das…? Wenn man verliebt ist, sieht man alles Mögliche – ganz Alltägliches – mit anderen Augen.

Routinierte Verrichtungen, die gewohnte Umgebung, das eigene Leben, das alles sieht man in einem neuen Licht, stellvertrend mit dem Augen des Anderen.

Plötzlich ist alles ein bisschen fremder, es ist neuer, spannender und man hinterfragt Dinge, die man jeden Tag übersieht oder gedankenlos ausführt.

Das Eigene mit einem verfremdeten Blick zu sehen – was sich beim Verliebtsein zu Anfangs oft automatisch einstellt – lässt sich auch auf die eigene Kultur anwenden und bewusst fördern.

 

Seit meiner Begeisterung für Marokko, hat sich mein marokkanisches Netzwerk auch nach Deutschland ausgebreitet und ich entdecke mein eigenes Land und die mir gewohnte deutsche Kultur durch „marokkanische Augen“ ein Stückchen neu.

So habe ich zum Beispiel begonnen, deutsche Städte (neu) zu entdecken. Ich habe Frankfurt – vermutlich die marokkanische City Nummer 1 in Deutschland – besucht, ich war dort bei Tinariwen und habe gelacht, als ich mitten in Deutschland Tamazight gehört und verstanden habe.

https://www.ditib-pforzheim.de/deutsch-1/bildergalerie/

In Stuttgart saß ich über eine Stunde in einem Schuhladen – statt Tee gab es Saft – im Gespräch mit zwei Marokkanern. Den einen davon (Hallo Tarek!) werde ich bald in Marokko in seinem Kindergarten in Tanger besuchen.

Und diese Woche war ich mit einer Freundin das Freitagsgebet in der deutsch-türkischen Fatih-Moschee in Pforzheim besuchen…

 

Ich störe mich oft an der Engmaschigkeit und der Unflexibiliät des deutschen Systems und Denkens, was sich meinem Empfinden nach durch sämtliche Bereiche des deutschen Lebens zieht.
Im Herzen fühle ich mich meinem Land oft nicht wirklich zugehörig.

 

Es gibt jedoch so viele Möglichkeiten die eigene Kultur bewusster und neu zu erleben.

Wenn ich in eine Moschee gehe und danach mit Kopftuch nach Hause fahre, ist das nicht ein Zeichen die eigene Kultur oder meine Religion zu verleugnen, sondern für mich eine Möglichkeit, auszuprobieren mit anderen Augen zu sehen und dadurch wiederum Eigenes und Gutes bewusster wahrzunehmen und gleichzeitig meine eigene Kultur mit neuen Elementen zu bereichern.