Der German Kindergarten in Tanger

Ich möchte euch den „German Kindergarten“ in Tanger Balia vorstellen, wo ich diese Woche untergekommen  bin.


Wie bereits geschildert, wollte ich hier eigentlich längere Zeit bleiben, musste aber schnell feststellen, dass dies mit Hund nicht praktikabel ist und mir auch Tanger Balia wenig zusagt.
Nichtsdestotrotz konnte ich Eindrücke sammeln, welche Vorstellungen hier mit dem Besuch einer vorschulischen Einrichtung verknüpft sind.

 

Für mich war es im Vorfeld spannend, einen „Kindergarten“ in Marokko zu entdecken.

Der Begriff und das Konzept des Kindergartens ist deutsch und enthält eine Sicht und Haltung gegenüber Kindern und deren Bedürfnissen, die sich meines Erachtens von vielen anderen Ländern und Kulturen im positiven Sinne abhebt.

Das vorschulische Bildungssystem ist in Marokko ein komplett anderes.
Kindergärten existieren regulär nicht.

Die meist in den Städten bestehenden vorschulischen Einrichtungen sind auf schulische Bildung ausgerichtet und haben mit unseren an den Bedürfnissen und Spiel der Kinder orientierten Einrichtungen wenig zu tun.

Eine der Kindergartengründerinnen erzählt mir, dass die Kinder in den Einrichtungen mit 2 oder 3 Jahren lesen und schreiben lernen und bis Eintritt in die Schule dies beherrschen müssen.

Hier sei von meiner Seite aus erwähnt, dass ich ausschließlich über die Erfahrungen vor Ort und entsprechend der Aussagen hier berichte und sich dies sicherlich wiederum von anderen Regionen Marokkos (vielleicht sogar hier in der Stadt?) unterscheiden wird. In verschiedenen Dörfern und Kleinstädten im Süden zum Beispiel habe ich anderes gehört und gesehen. Dort können viele Kinder selbst in der Schule noch nicht schreiben oder lesen, eine Vorschule besuchen viele dort nicht.


Tendenziell scheint die École maternelle aus Frankreich hier als Vorbild zu fungieren, was durch die vielen französischen Familien und der unmittelbaren Nähe zu Europa durchaus logisch ist.

Die École Maternelle ist die französische Vorschule, in der  Kinder von drei bis sechs Jahren in Altersgruppen unterteilt nach Stundenplan unterrichtet werden.
Während dies in Frankreich von professionell ausgebildeten ErzieherInnen und LehrerInnen durchgeführt wird und unter staatlicher Aufsicht steht, sind zumindest die privaten Vorschulen in Marokko an keine inhaltlichen Vorgaben gebunden. So müssen auch die Betreuerinnen keine Ausbildung oder Vorerfahrung haben.
Auch im German Kindergarten sind mehrere Betreuerinnen und eine Lehrerin beschäftigt, die die Kinder in drei Altersklassen unterteilt auf die Schule vorbereiten.

 

Ich habe mich mit zwei der vier KindergartengründerInnen, unterhalten und will wissen, wie es überhaupt zu diesem Projekt kam und letztendlich, was dieser „German Kindergarten“ mit einem Kindergarten nach deutschem Vorbild zu tun hat.

Ihr beide seid zusammen mit Tarik, mit dem ich Kontakt aufgenommen hatte, und dessen Frau, Teil des vierköpfigen Gründungs- und Leitungsteams des Kindergartens.
Vor knapp zweieinhalb Jahren seid ihr von Deutschland nach Marokko gekommen und habt relativ zeitnah den German Kindergarten gegründet. Wie kam es zu dieser Idee?
Wir wollten eigentlich einen Indoor für Kinder zum Bewegen und Spielen schaffen und haben hierzu ein geeignetes Gebäude gesucht. Als wir dann durch das Haus gingen und uns die Räumlichkeiten anschauten, kam Tarik auf die Idee nicht nur einen Indoor-Bereich, sondern einen kompletten Kindergarten zu gründen. Tarik kommt aus einer Lehrerfamilie und hat schon an einer Schule gearbeitet, so dass diese Idee sicherlich auch in diesem Zusammenhang zu sehen ist.

Wieso nennt ihr euch „German Kindergarten“?
Wir wollen zum Einen auf unsere eigene Herkunft verweisen. Wir vier sind entweder in Deutschland geboren oder haben dort lange gelebt.
Wir möchten uns aber auch von den anderen Einrichtungen abheben. Uns ist es wichtig, eine Einrichtung zu schaffen, die Kindern aus anderen Kulturen, die hierher nach Marokko kommen, einen sanfteren Übergang ermöglicht. Bei uns werden keine Kinder geschlagen, gefesselt oder gezwungen, still auf einem Stuhl zu sitzen. Das ist hier ansonsten gang und gebe.
Ein Vater, der sein Kind in einer anderen Einrichtung hatte, erzählte uns zum Beispiel auch, dass sein Junge dort, entgegen den Versprechungen, geschlagen wurde.

Gab es bei euch diesen Fall auch schon einmal? Wie stehen die Betreuerinnen dazu?
Es kam bei uns tatsächlich nur einmal ganz am Anfang vor, dass eine Betreuerin einem Kind einen Klaps gegeben hat. Diese wurde sofort entlassen.
Es ist schwierig. Wir haben Kameras installiert. Zum einen aus Sicherheitsgründen, um uns bei Unfällen abzusichern, zum andern um eine gewisse Kontrolle über das Verhalten der Angestellten zu haben.

Haben eure Betreuerinnen eine Ausbildung?
Nein. Uns ist es tatsächlich lieber, wenn sie unbedarft kommen. Wir hatten schon Fälle, da haben ausgebildete Betreuerinnen Kinder angeschrien und zum Stillsein gezwungen und uns gesagt „Das haben wir aber so gelernt“.
Badria ist zu Anfangs dabei, wir nennen das die Praktikumszeit, und beobachtet, ob die Frau oder das Mädchen für unsere Einrichtung geeignet ist.

Noch einmal zurück zu dem Namen „German Kindergarten“…
Ja, unser Versuch ist es außerdem, nach dem deutschen Vorbild etwas Spielerischeres in die Vorschule einzubringen. Dass die Kinder zum Beispiel zwischen dem Lernen sich bewegen dürfen. Deshalb auch der Indoor-Bereich zum Austoben. Dass die Kinder eine Pause bekommen, wenn sie nicht mehr können.
Die Betreuerinnen sollen sich mehr auf die Kinder einstellen. Das mögen wir an den Kindergärten in Deutschland.
Wir wollen auch den Eltern ein flexibles Konzept anbieten. Wir haben gehört, dass in anderen Einrichtungen, Kinder einfach vor die Tür gesetzt werden, wenn die Eltern bei Schließung nicht da sind. Wir betreuen sie dann weiter, verlangen halt dann aber das zusätzliche Geld für diese Zeit.

Welche Erfahrungen macht ihr mit den Eltern?
Das ist sehr unterschiedlich. Wir haben aber das Gefühl, dass eher die problematischen zu uns kommen. Kinder, die schwieriger sind. Eltern, die die regulären Öffnungszeiten anderer Einrichtungen nicht einhalten…
Wir bieten ihnen unterschiedlichste Zeiten: von stundenweiser Betreuung bis längeren Zeiten am Stück mit Übernachtung.

Eure Eltern sind also eher gehobene Mittelschicht, sie müssen sich das ja schon finanziell leisten können?
Ja, das kann man so sagen, gute Mittelschicht.
Die Preise sind guter Durchschnitt, aber gestaffelt nach Leistung und je nach individuellem Betreuungsaufwand wird es teurer.

Was steht momentan bei euch an? Wo soll es mit den Kindergarten hingehen?
Wir wollen längerfristig eine Grundschule aufbauen, haben aber noch viele andere Ideen.
Das Schöne an Marokko ist, dass man sich ausprobieren und Ideen verwirklichen kann.

 

Um noch einmal auf meinen missglückten Versuch zurück zu kommen, mit Hund hier heimisch zu werden: Ursprünglich hatte Tarik hier wohl selbst wenig Bedenken, denn es war klar, dass ich mit Hund komme, hat die Vorbehalte der Eltern jedoch sicherlich unterschätzt.
Aus der Perspektive, welche Ansprüche die Eltern hier haben – in erster Linie die gezielte Vorbereitung auf die Schule und eine unkomplizierte Betreuung (Eingewöhnung oder ähnliches gibt es nicht) – und angesichts der hohen Auswahl an Einrichtungen als Alternative, kann ich die Angst der Kindergartenbesitzer, was mögliche negative Reaktionen der Eltern auf einen Hund angeht, gut nachvollziehen.
Das Ziel eines Kindergartens in Marokko ist es (noch) nicht tiefere pädagogische Arbeit, wie zum Beispiel hinsichtlich einer veränderten Beziehung zu Tieren zu leisten, sondern in erster Linie die Kunden zufrieden zu stellen. Standards und Bemühungen beziehen sich hier auf noch grundsätzliche Dinge, wobei der Ansatz einer gewaltfreien Erziehung auf jeden Fall nochmals zu betonen und absolut positiv hervorzuheben ist!
Vielleicht wird auch das freie Spiel, das den „Kindergarten“ ausmacht und von einer Vorschule abgrenzt, nach und nach etabliert werd en?Ich wünsche dem German Kindergarten auf jeden Fall noch viel Erfolg und dem Team und den Betreuerinnen viele positive Rückmeldungen!

 

 

 

 

 

Tanger

Warum bin ich in Tanger?

Weshalb nach dem Aufenthalt im Süden wieder die 900 Kilometer zurück fahren?

Rein praktisch ergibt das wenig Sinn, war jedoch eine der Überlegungen vorweg in Deutschland…

In Deutschland hatte ich organisiert und organisiert – typisch deutsch – und zwar so lange und so viel, dass es dann am Ende wirklich grenzwertig war und ich mir selbst viel von der Vorfreude auf Marokko genommen hatte.
Vieles davon war notwendig, zumal ich auch meine Arbeit und Wohnung gekündigt habe und dies einiges an Aufwand war. Einiges davon hätte ich mir aber auch ersparen können,
vor allem die „präventiven Maßnahmen“ zur Entkräftung diverser Befürchtungen, die ich gehegt hatte.

Meine größte Angst bestand darin,
mich in Marokko sprachlich nicht genügend ausdrücken zu können
und mich zu Anfangs verloren zu fühlen.

Daher wollte ich einen geeigneten ersten Aufenthaltsort festlegen, um von hier aus zu einem passenden Zeitpunkt weiter- bzw. loszuziehen. Die Idee, mir entsprechend meines beruflichen Fachgebiets eine soziale oder pädagogische Organisation zu suchen, bei der ich gegen Mitarbeit mit Butyi, meinem Hund wohnen kann, lag nahe.

Die erste herzliche Einladung kam über Facebook von Tarik, den ich dann im Sommer letzten Jahres in Stuttgart traf.
Sein „German Kindergarten“ in Tanger sollte meine erste Anlaufstelle und mein Ausgangspunkt sein. Ich würde am Alltag der Einrichtung teilnehmen und durch den Umgang mit den Kindern und Betreuerinnen, die sich auf Arabisch und Französisch unterhalten, sicherer in den Sprachen werden. Als Gegenzug würde ich in den auf Deutsch gehaltenen Teambesprechung mit den deutsch-marokkanischen Gründern, meine Beobachtungen als mögliche Impulse zur Weiterentwicklung der Einrichtung einbringen.

 

Nun bin ich
seit drei Tagen
in Tanger
und es ist

ganz anders als erwartet.

 

 

 

Tanger und Butyi,
Tanger und ich,
das passt nicht zusammen!

 

Butyi und ich haben ein Zimmer mit Dachterasse in der dritten Etage des Kindergarten-gebäudes be-kommen, haben jedoch das grund-legende Problem nur „versteckt“ und außerhalb der Stoßzeiten nach unten ins Freie zu können.

Die Eltern sind kritisch, was Hunde betrifft. Aus Angst die Eltern als Kunden wegen des Hundes zu verlieren, daher diese Bitte der Kindergartenbetreiber, die für mich und Butyi allerdings starre und auf Dauer wenig praktikable Strukturen schafft.

Hinzu kommt die hunde-unfreundliche Umgebung der näheren Umgebung in dieser Stadt.
Ich kann den Hund nirgends von der Leine lassen. Wir sind umgeben von großen Straßen und Autos oder essbarem Abfall, weiterhin wird in Tanger anscheinend Gift gegen die streunenden Tiere gestreut.
Dies alleine reicht bereits aus, um Tanger den Rücken zuzukehren.

Ich werde in den Cafés und beim Einkaufen freundlich bedient und empfangen, doch spüre ich den  Unterschied in den Begegnungen. Die Menschen haben Angst. Auf der Straße haben wir immer einen Meter Platz um uns, alles weicht uns aus.

Die Angst der Menschen hier kann ich mittlerweile allerdings gut nachvollziehen.

In Mohammedia und hier in Tanger
habe ich zum ersten Mal Kontakt mit den sogenannten Tcharmil
und bin entsetzt.

Diese Jugendlichen und Männer halten sich Hunde – bisher sah ich ausschließlich junge Rassehunde, vor allem Huskys und Schäferhunde – und machen diese gezielt scharf gegenüber ihren Artgenossen und vermutlich auch Menschen.
Ich sehe die Hunde, die an den Leinen aufgestachelt und gequält werden und mir blutet das Herz. Diese Menschen scheinen keinerlei Gespür oder Verständnis für andere Lebewesen zu haben, sie behandeln diese wie Spielzeug, mit dem sie sich die Zeit vertreiben und durch das sie sich darstellen können.
Dieselben Hunde sah ich abends wieder, teilweise an kurzen Ketten, in den Höfen der teuren Villen hier in Balia…

In Mohammedia hatte ich ähnliche Erfahrungen.
Aus einem Hof kamen sieben Hunde geschossen, die sich nicht mit Warnungen zufrieden gaben und sich auch nicht durch meine Schreie und die Steine (die ich mittlerweile mit mir führe) abhalten ließen. Ein Pekinese führte mehrere Attacken aus und hing zuletzt an Butyis Hals. Der Marokkaner, dem diese Hunde gehörten, fand dies äußerst unterhaltsam und vertrieb seine Hunde gegen Ende halbherzig, ohne in irgendeiner Form Bedauern über den Vorfall zu zeigen.
Ein anderer Marokkaner führte die Hunde von Ansässigen aus. Auch diese Begegnung war wenig schön. Er war sichtlich stolz auf die beiden großen „wilden“ Schäferhunde, von denen er sich mit gesträubtem Fell immer näher zu uns ziehen ließ.

Hier in Tanger erschrecken die Menschen wenn sie Butyi sehen. Im Café und anderen Situationen, in denen wir verweilen, legt sich dies. Sie sehen den freundlichen Hund, der bei seinem Menschen sitzt und liegt, doch dieser Anblick scheint hier selten zu sein.

In einem kleinen Laden fragte mich ein kleiner Junge, ob Butyi beißen würde.
Was sagt ein enttäuschtes Gesicht eines Kindes über sein Land aus
,
wenn es feststellt, dass der Hund freundlich ist?

Die Grösse und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie ihre Tiere behandelt, das sagte Mahatma Gandhi.
Ich muss oft an diesen Ausspruch denken und stelle wieder einmal fest: Marokko ist kein kulturell einheitliches Land. Wie unterschiedlich gehen hier die Menschen mit Tieren (und Kindern) um. Das Verhalten im Süden entspricht meiner Wahrnehmung nach in keinster Weise der Mentalität der Leute hier oben.

Ich laufe durch die Straßen, sehe die Villen und die teuren Autos.

Das ist nicht das Marokko, das ich kennen und lieben gelernt habe!

 

Ich spüre hier nichts von der Freiheit der Natur, mir fehlt das Herzliche und Fröhliche der ländlichen Bevölkerung und das Traditionelle ist hier einer, wie ich finde, überzogen modernen, französisch-europäischen Lebensart gewichen.
Hier geht es um Arbeit, Geld und Prestige und zwar von Kindheit an. Die Gespräche mit den Kindergartengründern (Interview im nächsten Beitrag) verstärkt diesen Eindruck.


Den Plan, mich hier einzuleben, verwerfe ich.
Ich werde euch noch den German Kindergarten vorstellen und dann geht es zurück Richtung Süden!!!