Gedanken ordnen in Marokko…


Freitag…

„Heute vor genau zwei Wochen…“, so habe ich gerade zu schreiben begonnen und irritiert mit einem Blick aufs Handy festgestellt, dass heute Sonntag ist. Marokko hat mich wohl – zumindest, was die Zeit betrifft…

Hier also mein erster Versuch, meine Gedanken zu ordnen und die vielen Eindrücke aus den letzten zwei Wochen widerzugeben.

Heute vor über zwei Wochen bin ich mit vollgepacktem Auto und Hund über die Schweiz und Italien nach Genua, und von dort aus mit der Fähre nach Marokko aufgebrochen.
Zu diesem Zeitpunkt war ich nervös, ob alles klappen würde.
Die Fahrt war dann tatsächlich relatv ereignislos und unproblematisch.

 

Ich staune:
Wie schnell man doch andere Länder erreichen und durchqueren kann.
Man muss einfach nur losfahren!

 

Angekommen in Marokko stand erst einmal eine anstrengende Fahrt von 900 Kilometern bis nach Boumalne Dades im Südwesten Marokkos an, mit Zwischen-stationen in Tanger, Casablanca und Marrakech, wo ich mein Auto um diverse Mitbringsel erleichtern und mich Freunden und Bekannten mit einem kurzem „Salam, ich bin da.“ ankündigen wollte.

So weit so gut..

Seit zwei Wochen bin ich nun in Boumalne Dades.
Doch wo fange ich an zu erzählen?

Es sind zu viele Eindrücke in zu kurzer Zeit.

 

 

In Boumalne wohne ich bei der Familie meines Freundes, was ich gedanklich als „Urlaub“ vor meinen eigentlichen Aufenthalt ohne Begleitung in Marokko verbucht hatte.

Tatsächlich ist es sehr schön, aber definitiv kein Urlaub!

Die ersten 10 Tage bestanden aus permanenten Besuchen bei Verwandten und Bekannten der Familie, die uns beide aus Deutschland willkommen heißen. Anstrengend ist es, wenn man wenig bis keine Sprache hat und freundlich und interessiert – und vor allem wortreich – einbezogen wird.
Nach der Anfangsbegrüßung, die ich mittlerweile relativ korrekt mit den entsprechenden Antworten absolvieren kann, kommen meist verwunderte und anerkennende Kommentare – „Sie spricht Tamazight!“ –  und Sprachergüsse, von denen ich genau genommen überhaupt nichts verstehe…

Hier wird fast ausschließlich Tamazight (sprich: Tamazirt) gesprochen, eine der drei Sprachen der Imazighen. (Ich verwende im Folgenden den Begriff „Imazighen“, die wertschätzende und von den „Berbern“ überwiegend selbst verwendete Bezeichnung ihrer Ethnie.)
Ich habe durch den Sprachunterricht von Abdel, einem guten Freund und Sprachlehrer aus Casablanca, zwar Vorkenntnisse in Tamazight, bin jedoch an dem Versuch, mir im Vorfeld die Sprache anzueignen gescheitert. Die Laute sind mir als Deutsche zu fremd, um sie ohne Sichtkontakt korrekt zu hören oder zu sprechen.
Monatelang hatten  Abdel und ich uns so zum Beispiel missverstanden. Abdel sagte oft: „Nicht r Stefanie, sondern rrrrr.“ Erst bei meinem zweiten Aufenthalt in Marokko, bei dem Versuch mit den Leuten zu reden, begriff ich, dass dieses Rrrrrrrrrr nicht im Hals, sondern mit der Zunge gebildet wird und einen komplett anderen Laut darstellt.

In die Familie integriert zu werden ist schön, allerdings auch anstrengend.

 

Von der Sprache abgesehen, ist mir der Tagesablauf fremd – die vielen und späten Mahlzeiten – und das viele Umgebensein von Menschen macht mir zu schaffen.
Mein Anspruch nicht nur physisch, sondern tatsächlich mental präsent zu sein, hat mich nach einer Woche so sehr erschöpft, dass ich am Weinen und Zweifeln war: Was soll ich in Marokko?
Meine Idee war doch ein Stück der marokkanischen Mentalität zu verinnerlichen und „runter zu kommen“ von den ganzen Abläufen und dem starren Denken in Deutschland, einfach frei zu sein, das Land zu entdecken und mit meinem Hund zu bereisen.

Ich bin jetzt, da ich dies hier schreibe, wieder ziemlich entspannt.
Die Familie ist toll und ich muss hier (genauso wie zu Hause in Deutschland) lernen, nicht in die Extreme zu fallen. Ich muss nicht alles und nicht sofort können! Ich muss auch nicht alles annehmen, nur weil ich eine Fremde bin und nicht unhöflich sein will. Mit emotionalem Abstand weiß ich das, es fällt mir allerdings schwer, in der Situation meine Bedürfnisse deutlich zu kommunizieren.

Apropos „Hund“:
Auch das ist ein Teil, der mich hier im Familienalltag fordert.

Man braucht in Marokko für vieles Geduld, vor allem was die Zeitangaben angeht.

 

Das ist prinzipiell kein Problem, mit dem Gedanken an Butyi jedoch, der zu Hause auf mich wartet, setzt mich dies unheimlich unter Druck!

Butyi ist hier willkommen und beliebt. Das muss ich hier ausdrücklich erwähnen!
Er ist nicht selten mit in den Häusern zu Gast und bildet den Mittelpunkt in den Wohnzimmern, umgeben von staunenden Menschen.

Je nach Fahrtstrecke im heißen Auto oder Familie machte es jedoch oft Sinn, ihm seine Ruhe und zu Hause zu lassen. Das kennt er und das ist kein Problem, da wir aufgrund dessen von der Familie einen eigenen kleinen Bereich bekommen haben.
Doch wie erklärt man Marokkanern, dass der Hund nach einem bestimmten Zeitraum wirklich auf mich wartet, Aufmerksamkeit und Beschäftigung braucht, ich also einen festen Zeitrahmen habe und nach Hause muss? Haben doch selbst Deutsche ohne (und leider teilweise auch mit) Hunde diese Verständnis nicht, ist es ungleich schwieriger, dies Menschen verständlich zu machen, bei denen Hunde zwar prinzipiell gut angesehen sind, diese jedoch nie als Haustiere in einer so nahen und intimen Beziehung gehalten wurden?!
Bei Besuchen außerhalb, die dann aufgrund der spontanen Planung der Mama, der Tante oder wem auch immer, um ein Vielfaches gestiegen sind, war dies ein echtes Problem für mich. Aus dem angedachtem einen Besuch wurden drei, jedes Mal mit Tee und dem ganzen Drumherum, während ich auf glühenden Kohlen saß und an Butyi dachte…

Die Unkenrufe, dass Hunde im Islam als unrein angesehen werden, gelten für meine bisherigen Erfahrungen in Boumalne definitv nicht.

 

Die Menschen hier haben einfach ein (noch) distanzierteres Verhältnis zu ihren relativ frei lebenden Hunden und sind erstaunt, wenn sie Butyi mit mir in den Straßen sehen. Wenn ich durch die Stadt laufe, kann es sein, dass Kinder „Butyi, Butyi“ rufen. Fast jeder Erwachsene fragt mich, wie er heißt. Im Café findet Butyi seine Streicheleinheiten von den marokkanischen Männern, zu Hause von den Frauen…

 

Dieser Anfang hier in Marokko als Gast und Teil einer Familie, ist eine ganz besondere Erfahrung für mich, die ich trotz der geschilderten Strapazen nicht missen möchte!

Vieles wird sich relativieren, wenn die Familie und ich uns besser kennen – es ist wie Vieles, was folgen wird, ein erstes Mal für mich.

 

Azul!

 

Mit dem Entschluss, meine Erlebnisse und Gedanken mit mir unbekannten Menschen zu teilen, betrete ich absolutes Neuland. Ebenso wie Marokko ein für mich noch zu erkundendes Land ist, in dem unzählige Begegnungen und spannende Erfahrungen darauf warten, erlebt und erzählt zu werden…

 

 

Wer bin ich? 

Mein Name ist Stefanie. Ich bin ein typisches deutsches Kind der 70er Jahre, aufgewachsen in einer durchschnittlichen Kleinfamilie (zwei Kinder, Scheidung der Eltern) mit jährlichen Urlauben in Spanien an der Costa Brava.

Den weiteren Lebenslauf will ich euch ersparen, bis jetzt war dieser noch kein Blog wert.

Mittlerweile bin ich dem Alter nach erwachsen, Sozialpädagogin und Lehrerin, liebe meine Berufe, aber nicht das System.

Ich bin weder verheiratet noch geschieden, habe keine Kinder und festgestellt, dass jetzt die beste Zeit meines Lebens ist. Ich weiß, wer ich bin und noch wichtiger: Ich weiß, wer ich sein kann, wenn ich meinem inneren Lebensgefühl folge und meine Fähigkeiten endlich voll ausschöpfen kann!

Ich bin frei, mit meinem Hund Butyi an meiner Seite, ein mir entsprechende Leben zu entwerfen. Und meine ersten Schritte haben mich hierbei nach Marokko geführt…

 

Warum Marokko? Warum ich?

Marokko hat mein Herz berührt. Vom ersten Moment an wusste ich, dass dieses Land in seiner Ursprünglichkeit, mit seinen Menschen mehr als nur ein Urlaub oder ein einzelner Besuch sein wird.

„Azul“ – mein Herz zu deinem – ist viel mehr als nur eine Willkommensfloskel der Imazighen (Berber). Es ist ein Ausdruck des Stolzes auf die eigene Herkunft und Kultur, der inneren Freiheit jeglichen Widrigkeiten zum Trotz und der gegenseitigen Verbundenheit.

Kein Willkommensgruß könnte für mich passender sein!

Ich möchte die Kultur Marokkos kennen lernen, die mich in ihrer Vielseitigkeit und der spannenden Mischung verschiedenster Einflüsse fasziniert. Vor allem die Kultur der Imazighen hat mich tief im Innern berührt. Gleichzeitig werden die Begegnungen in und mit Marokko mich meine eigene Kultur sicherlich wieder bewusster wahrnehmen lassen.

 

Warum schreibe ich?

Mit diesem Blog möchte ich euch einladen, mich auf meiner Reise und Auseinandersetzung zu begleiten und meine Erlebnisse und Gedanken mit mir zu teilen.

Meine Erlebnisse mit der marokkanischen Kultur und den Menschen zu dokumentieren und diese dann tatsächlich zu veröffentlichen, machen meine Erlebnisse für mich erst richtig real und greifbar.

Zwischendurch, wenn ich innehalte und mir dem bisher Erlebten bewusst werde, staune ich und denke: „Das kann nicht ich sein, die das erlebt! Das muss eine andere Person sein…“

Gleichzeitig wird dieser Blog von den Menschen leben, die diesen besuchen und mitwirken, die sich hier austauschen und begegnen.

Dieser Blog wird seine Unverwechselbarkeit erst durch euch erhalten, die ihr meine Darstellung der Erlebnisse erweitert, ergänzt oder hinterfragt!

 

Was euch hier erwarten wird – und was nicht! 

  • Ich habe nicht vor, Reiseberichte über Marokko zu verfassen.

Es werden sicherlich Anregungen zu finden sein – zum Beispiel esse ich für mein Leben gerne. Ebenso werde ich Marokko natürlich auch in seinen typischen Sehenswürdigkeiten kennen lernen. Trotz dessen: Wer klare Reiserouten, Hotelempfehlungen oder ähnliches erwartet, wird hier enttäuscht werden.

  • Ebenso sind diejenigen, die sich „Verhaltens-Anleitungen“ wünschen, also wie man sich als Frau oder Mann in diesem Land zu bewegen oder sich als Ausländerin oder Ausländer korrekt zu benehmen hat, definitiv falsch.

Es werden sich Richtlinien herauskristallisieren, die je nach Region und Situation und abhängig von den beteiligten Personen – und dazu gehörst auch du – variieren. Es gibt es keine allgemeingültigen Rezepte.

  • Dieser Blog wird in wenigen Monaten schon gefüllt sein mit Berichten von Erlebnissen in und um Marokko. Ich werde von Begegnungen erzählen, euch Menschen, deren Leben, Sehnsüchte und Träume vorstellen. Hierbei werden die Personen – sofern sie dies möchten – auch selbst zu Wort kommen.

So werdet ihr zum Beispiel Abdel kennen lernen. Abdel ist seit neun Monaten mein Tamazight-Lehrer – er bringt mir eine der drei Sprachen der Imazighen bei. Er ist vor allem aber ein Vermittler und Kundschafter seiner Kultur und mir mittlerweile ein wichtiger und guter Freund geworden.

  • Die Themen werden vielfältig sein und alles betreffen, was das Leben in Marokko ausmacht und mich in meinen Begegnungen beschäftigt und berührt.

Das Menü wird sich nach und nach füllen und um verschiedene Inhalte erweitern. Eure Wünsche, Fragen und Vorschläge sind hierbei ausdrücklich erwünscht!

 

Zum Schluss…

Die größte Herausforderung ist im Moment, dass ich euch an dieser Stelle am liebsten erzählen möchte, wie sich meine persönliche Auseinandersetzung mit Marokko längerfristig gestalten wird. Das muss jedoch noch warten.

Wenn ihr an den Artikel in den kommenden Monaten über meine Erlebnisse und Begegnungen mit den Menschen in und um Marokko Gefallen findet und auf den Geschmack gekommen seid, seid sicher, der Hauptgang kommt erst noch!

 

 

Ich freue mich darauf, euch die kommenden Monate und das nächste Jahr – Ausgang ungewiss – auf meiner Reise mitnehmen!

In diesem Sinne: Merhaba – seid willkommen.